Hansa-Rückschau // Der 300-Hunderprozent-Kolke
Hansa siegt in Magdeburg mit 1:0 und nähert sich der Tabellenspitze. Kolke ist der hanseatische Leonidas. Die Rückschau auf den Hansa-Sieg in Magdeburg.
Es war das Wochenende der erfolgreichen “Gastgeschehen.”
Am Freitagabend speiste ich in einem feinen Rostocker Lokal. Es gab zu viel Fleisch (für mein ökologische Gewissen) und eine grandiose Crème brûlée, dazu gute Drinks. Am besten war aber der erquickliche Umstand, dass mich der Abend im Rostocker Fine Dining mit zwei neuen Vokabeln beschenkte. Der Kellner bat nämlich darum, die Teller aus meinem “Gastgeschehen herauszuheben”.
Etwas aus dem “Gastgeschehen herausheben” also. Wieder etwas Neues gelernt.
Die gute Nachricht ist: Meine Liaison mit dem Entrecote und der Urkarotte blieb nicht mein einziges erfolgreiche Gastgeschehen. Der FC Hansa zog am Samstag als erfolgreicher Gast in Magdeburg nach. 1:0. Torschütze Nik Omladic und vor allem der ultrafamostolle Superman im Hansator Markus Kolke grillten die Mageburger medium rare. Alles Wichtige zum Spiel in unserer Rückschau.
Warum hat der FC Hansa gewonnen?
Weil im Fußball David-Duchovny-sei-dank nicht immer die bessere und überlegene Mannschaft gewinnt. Die ersten 35 Minuten fühlten sich für die Rostocker nämlich in etwa so an wie der Mediziner-Einstand im LT-Club für Ü30-jährige Partyhäschen: überhaupt kein Reinkommen ins Spiel.
Doch dann hatte Aaron Opoku einen Russell-Wilson-Moment. Er spielte einen wunderschönen Pass über die Köpfe der Verteidiger hinweg in Richtung Strafraum, genau in den Lauf von Nik Omladic. Und der schoss den Ball mühelos ins Tor. Mitten in das Herz der Magdeburger. Ab dieser Sekunde war es ein völlig neues Fußballspiel.
Der FC Hansa zeigte eine extreme Leistungssteigerung in der zweiten Hälfte. Besonders defensiv ließ Hansa den Magdeburgern viel weniger Raum, verteidigte besser in den Zweikämpfen und konnte das bis dahin aufregende Spiel der Heimmannschaft abkühlen.
Und dann war da noch Markus Kolke. Der Keeper, der immer hält. Oder wie BTB-Zeichner Stefan Pede findet: Hansas Leonidas.
Wer war der Spieler des Spiels?
Pascal Breier.
Ich verarsch euch nur. Es kann nur einen geben, und zwar den Kraken Kolke. Die Magdeburger taten wirklich alles, um aus dem Hansa-Schlussmann frittierten Calamari zu machen. Sie schossen hoch, sie schossen flach. Sie köpften mal scharf, mal platziert. Probierten es mit Gefühl oder mit Gewalt. Doch Kolke hielt alles. Der 1:0-Sieg ist zu einem überwältigenden Teil sein Verdienst. Denn es hätte nach 30 Minuten auch 0:2 oder 0:3 stehen können.
Die Saison von Markus Kolke bleibt beeindruckend. Seine Fehler sind bislang an einer Hand abzuzählen. Er kann ein Spiel für einen Torhüter erstaunlich gut prägen. Er beruhigt es entweder oder verlagert es durch kluge Abwürfe und weite Abspiele.
Das Trainer-Lob
Es war die vielleicht schwierigste Entscheidung für den Trainer: Julian Riedel, der Kapitän und auf dem Papier beste Innenverteidiger, war wieder fit. Mit Max Reinthaler und Sven Sonnenberg hatte sich in Riedels Abwesenheit aber ein Kinderriegel in der Viererkette festgespielt.
Was also tun? Riedel rein oder Riedel raus?
Härtel entschied sich gegen Riedel, und das war taktisch klug. Der größte Offensive-Trumpf der Magdeburger ist bekanntlich Christian Beck. Der Strafraum-Tanker misst 1,96 und ist vielleicht der beste Kopfballspieler der 3 Liga. Während Sonnenberg und Reinthaler über 1,90 sind, ist Riedel nur knapp über 1,80. Härtel setzte auf preußische Maße im Strafraum, und tatsächlich kam Beck nur zweimal im Strafraum zu richtig guten Chancen.
Sinnbildlich für die keineswegs perfekte, aber sehr couragierte Leistung des Kinderriegels war die 79 Spielminute. Erst blockte Reinthaler, dann Sonnenberg. Am Ende hielt Kolke – wer auch sonst – den Ball fest. Die beiden jungen Innenverteidiger sind zwei Stories der Hinrunde – und Härtel hat gerade wenig Grund, daran etwas zu ändern.
Was bedeutet der Sieg?
Dass der FC Hansa den Duft der Aufstiegsplätze so langsam erschnuppern darf. Drei Punkte fehlen noch auf Platz drei, und dass er FC Hansa näher am Tabellenführer kuschelt als am ersten “Absteiger” – das wäre vor zwei Monaten noch undenkbar gewesen.
Der FC Hansa ist seit sieben Spielen ungeschlagen, und das obwohl er auswärts Ingolstadt, Braunschweig, Mannheim und Magdeburg bespielen musste. Der FC Hansa ist seit dem Spiel in Ingolstadt nicht mehr in Rückstand geraten und er hat, das ist ebenso wichtig, in jedem der vergangenen sieben Spiele geführt. Und das, wo ich noch immer den Eindruck habe, dass die Mannschaft noch lange nicht alles abruft, was sie eigentlich kann.
Dieser Derbysieg gibt Selbstvertrauen – und er füllt hoffentlich in den nächsten Wochen das Ostseestadion. November, Dezember – da besticht das Rostocker Wetter mit kühlen Regentagen. Spontan gehen da die wenigsten ins Stadion, zumal wenn der Hansa-Fußball nur vor Belanglosigkeit taumelt.
Nun spielt der FC Hansa oben mit, schlägt reihenweise Angstgegner, gewinnt die Showdons gegen Braunschweig und Magdeburg. Das dürfte die Ränge auf Ost und West mit vielen Jack-Wolfskin-Jacken und Camp-David-Pullis ausstaffieren. Und diese Leute tragen nunmal viel Geld in die Vereinskassen. Kommen in den nächsten Wochen statt 12.000 künftig 18.000 Fans in die Arena, kann das sogar sportliche Auswirkungen haben. Nicht nur, weil eine gute Kulisse müde Beine etwas munterer macht. Sondern auch, weil die Mehreinnahmen vielleicht sogar noch einen Wintertransfers möglich machen.
Ein Wort zu Pieckenhagen?
Respekt.
Martin Pieckenhagen hat im Sommer vieles richtig gemacht. Ob manches durch Glück begünstigt wurde, sei einfach mal dahingestellt. Schauen wir uns lieber die Ergebnisse an:
Am Wochenende standen mit Kolke, Butzen, Sonnenberg, Neidhart, Nartey, Opoku und Omladic sieben Neuzugänge in der Startelf. Hansa konnte ein Korbinian Vollmann von der Bank bringen. Einen Vollmann von der Bank!
Hansa hat den besten Kader seit Ewigkeiten, auch weil Jens Härtel zudem „Bestandsspieler“ wie Pepic, Breier, Bülow und Reinthaler entweder weiterentwickelte oder nach einer gewissen Anlaufzeit richtig einsetzete.
Vor der Saison gab es manche, die Pieckenhagen nicht einmal die Organisation einer Partie Hallenhalma zutrauten (wir auch ein bisschen). Diese Frotzeleien sollten vorerst verstummt sein.
Nun bahnt sich für “Piecke” der nächste Entwicklungschritt an: Kann er nicht nur “gambeln” und mutig neue Spieler holen – kann er auch die, die sich bewiesen haben und deren Verträge bald auslaufen, langfristig halten?
Wie geht es weiter?
Mit 1860 München und Carl-Zeiss Jena warten Krisenteams. Wenn Hansa mindestens vier Punkte holt, könnte spätestens gegen Duisburg der Sprung auf einen der ersten drei Plätze winken. BTW: Was wär das für ein geiles Spiel – Hansa gegen Duisburg.
Die Goldi-Gedanken
– Aaron Opoku war nicht der einzige, der einen tollen Pass spielte. Auch Mirnes Pepic spielte – mal wieder – einen steilen Pass, der einen 100-Prozenter ermöglichte. Nartey schoss kurz vor dem Ende knapp drüber.
– Genau diese Szene in der 90. Minute machte Bauchschmerzen. Als Hansa vor eineinhalb Jahren gegen Paderborn mit 2:3 verlor, das höchst dramatisch, war ebenfalls in der Schlussphase die Entscheidung knapp verpasst worden. Gegen Magdeburg kam Hansa ohne Schaden davon. Puh.
– Korbinian Vollmann, Maximilian Ahlschwede, Julian Riedel und Rasmus Pedersen – die Rostocker Bank las sich so gut wie vielleicht noch nie in Liga 3. Das ist nicht nur für die einzelnen Spiele super wichtig, sondern mindert auch die Risiken, die drohen, falls das Verletzungspech zuschlägt.
– Stürmer Verhoek war wieder nicht im Rostocker Kader. Das riecht ein bisschen nach Trennung im Winter.
– Ich finde Bruderküsse auf die Omladic-Wange millionenmal sympathischer als salutierende Hampelmänner. Danke Mirnes, für so viel vernünftige Jubelkultur.
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